Volkstrauertag 2023
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
Lieber Vorsitzender der Gemeindevertretung Högn, lieber Matthias,
die eigentlichen Verlierer der Kriege sind immer die Eltern, die Frauen, die Mütter.
Mit diesem bitteren Ausspruch der Bildhauerin Käthe Kollwitz begrüße ich Sie hier zur heutigen Gedenkfeier zum Volkstrauertag 2023 in Schloßborn, Glashütten und Oberems.
Käthe Kollwitz sprach aus eigener tieftrauriger Erfahrung: Im Ersten Weltkrieg, der am 11. November 1918 zu Ende ging, hatte sie ihren Sohn Peter verloren.
Wie jede Mutter, wie alle Eltern, litt Käthe Kollwitz furchtbar unter dem Verlust ihres Sohns. Sie verarbeitete ihr Leid in ihrer Skulptur „Trauerndes Elternpaar“, die heute auf der Kriegsgräberstätte Vladslo in Belgien steht.
In der Nähe des Schlachtfelds, auf dem ihr Sohn 1914, gleich zu Anfang des Krieges, gefallen war.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht nur die letzten beiden Weltkriege haben viele trauernde Elternpaare, Kinder, Ehefrauen und Geschwister geschaffen. Bis heute sterben täglich Menschen im Krieg und das ist uns seit dem nunmehr schon 1 ½ Jahre andauernden Krieg in und rund um die Ukraine wieder noch bewusster.
Unser eigentliches Gedenken am heutigen Volkstrauertag gilt allen Gefallenen des 1. Und des 2. Weltkrieges. Schlimme Kriege, die die gesamte Welt, die gesamte zivilisierte Welt in Aufruhr brachten und an den Rand eines trichterförmigen Abgrundes. Viele Schicksale, viel Zerstörung, unendliches menschliches Leid ist in dieser Zeit widerfahren.
Nach dem zweiten Weltkrieg schwor man sich, alles zukünftig besser zu machen.
Viel Zeit ist seitdem vergangen. Ich frage mich manchmal, was hat die Menschheit aus den Wirren und dem unendlich geschehenen Leid des ersten und auch des zweiten Weltkrieges gelernt?
Nach dem zweiten Weltkrieg waren unsere Eltern und Großeltern damit beschäftigt Deutschland, wie wir es heute kennen, aufzubauen. Es folgte ein unbeschreibliches Kapitel von Frieden in Deutschland. Einer der längsten Friedensperioden, die Deutschland in seiner Historie bisher noch nie erlebte, aber auch in Europa. Freundschaftlich und partnerschaftlich, sollte das Verhältnis der Nachbarn untereinander werden. Es folgte dann 1990 nach Ende des kalten Krieges eine weitere Annäherung an Russland und auch hier eine bis 2006 andauernde Phase der militärischen Stabilität.
Die Menschheit steht heute an einem Scheideweg. Wir müssen aufpassen, dass wir den dünnen Faden, das Band des Friedens nicht weiter durchtrennen.
Was derzeit auf der Welt passiert, sei es das unermessliche Leid der Ukrainer oder das in Israel und Gaza, macht nur noch betroffen. Viele von uns blicken ängstlich in eine ungewisse Zukunft. Sie fragen sich, was wird aus den Betroffenen, aber auch was wird, wenn es weiter eskaliert.
So lassen Sie uns heute, lasst uns heute nicht nur an die vielen Opfer der beiden Weltkriege gedenken, sondern lasst uns diesen Tag auch den Menschen in der Ukraine widmen, den Menschen in Israel und auch im Gazastreifen, die Opfer wurden, weil sie einer friedlichen Welt mit Gewalt entrissen wurden.
Wir gedenken allen gefallenen Soldaten, derer die in Gefangenschaft gestorben sind oder hingerichtet wurden, und den vielen Vermissten aller Kriege. Aber auch den Männern, Frauen und Kindern überall auf der Welt, die im Krieg ihr Leben lassen mussten.
Wir denken an die Menschen, die im Widerstand oder um ihre Überzeugung oder ihres Glaubens Willen, Opfer von Gewaltherrschaft und Terror wurden und jetzt wieder werden, weil ein aggressiver Autokrat oder ein fanatisches Regime oder religiöse Fanatiker die Grundlagen von Frieden, Freiheit und Demokratie mit Füssen treten, nein, sie zerstampfen!
Und wir denken voller Betroffenheit an alle, die man verfolgt und getötet hat, weil sie einer vermeintlich falschen Ethnie angehörten oder als „unwertes Leben“ wegen Krankheit oder Behinderung aussortiert wurden. Sei es im Holocaust oder jetzt wieder ganz aktuell bei den Überfällen der Hamas auf Israel im vergangenen Monat.
Wir denken auch an die Männer, Frauen, Kinder und Familien, die nach all den geführten Kriegen auf unserem Erdball, auch in anderen Teilen der Welt, durch Flucht oder Vertreibung ihr Leben – oder zumindest ihren Besitz und ihre Heimat – ihre Wurzeln verloren haben.
Wir denken voller Dankbarkeit und Respekt an die Bundeswehrsoldaten, die bei der Verteidigung von Freiheit, Frieden, Demokratie und Menschenrechten ihr Leben gelassen haben.
Nicht vergessen dürfen wir, dass auch heute noch Kameradinnen und Kameraden der Bundeswehr ihren schweren Dienst bei Auslandseinsätzen erbringen. Sie setzen sich dabei für unsere Freiheit ein und riskieren ihr Leben. Dieser schwierige und gefährliche Dienst sollte von uns allen von unserer Gesellschaft respektiert werden.
Mein Schwiegersohn fliegt am Dienstag früh mit einem A400M nach Jordanien. Er beginnt dann seinen dreimonatigen Einsatz. Alle Soldaten tun das für uns und dafür, dass die Sicherheit Deutschlands, die Sicherheit Europas schon vor unseren Grenzen gewährleistet wird.
Er sagte zu mir, dass es ihm nie so schwergefallen ist, dorthin zu gehen wie jetzt. Versetzen wir uns einmal in die Lage dieser Bundeswehrsoldaten, kurz vor den Grenzen zu Palästina, kurz vor Israel. Was ist das nur für eine Zeit in der wir heute leben.
Doch wir setzen alle Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und auf Frieden in der Welt. Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt:
Das Geheimnis der Versöhnung ist Erinnerung.
Der heutige Volkstrauertag gibt uns dazu die Gelegenheit. Er ist ein Tag des Gedenkens und des Nachdenkens. Er ist ein Tag der Erinnerung, des Mitgefühls und der Verbundenheit über Generationen und Völker hinweg.
Und er kann unseren Blick schärfen: für unsere Überzeugungen und Handlungen, für gesellschaftliche und politische Entwicklungen in der Gegenwart und für die Zukunft, für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung einzustehen und sie gegen jegliche Feinde von innen und außen zu verteidigen. Dieser Tag ist ein zeitloses Erbe, das nie an Aktualität verlieren wird.
Nutzen wir ihn zum Atemholen, zur Reflexion über Krieg und Gewalt und sind wir dankbar, dass wir in einem Land ohne Krieg in der bisher längsten Friedensepoche unseres geeinten Landes leben dürfen.
Liebe Bürgerinnen und Bürger, nehmen wir von den Gräbern und Kriegerdenkmälern die Hoffnung mit und leisten wir an diesem Tag ein Versprechen: Wir wollen unseren Kindern eine Zukunft schaffen, die auf Menschenwürde fußt, frei von Angst, Unfreiheit und Erniedrigung!
Frieden fällt nicht schön verpackt vom Himmel. Man kann ihn weder kaufen noch gewinnen. Frieden ist ein Geschenk der Zeit, das wir alle in uns tragen. Wir müssen den Frieden in uns finden und dann großzügig mit den anderen teilen.
Für den Frieden müssen wir alle etwas tun, er ist nicht nur Sache von Politikern. Es ist vielmehr an jedem von uns, friedlich miteinander zu leben und schon im Alltag eine Atmosphäre zu schaffen, in der keiner aus purem Misstrauen oder Unkenntnis angefeindet und ausgegrenzt wird. Da sollte jeder mit gutem Beispiel vorangehen, im Kleinen wie unserer Gemeinde oder im Großen.
Respekt dem Gegenüber, achtungsvoller Umgang miteinander, dem anderen in der Not helfen, das sind die Wurzeln dazu.
Wir müssen Frieden schaffen, indem wir miteinander sprechen, einander zuhören, Freude und Kummer teilen, uns gegenseitig helfen und uns am Ende die Hände reichen. Daran sollten wir uns heute, am Volkstrauertag 2023 erinnern und mit dem aufeinander zugehen beginnen.
Ich danke Ihnen sehr fürs zuhören und wünsche Ihnen noch einen schönen Sonntag.
Glashütten, 19. November 2023
Thomas Ciesielski
Bürgermeister